Schutz­gut Mensch und Demokratie

Im Zeit­raum von 1991 bis 2002 war Dr. Man­fred Marz als Ver­tre­ter des Bezirks­am­tes Köpe­nick, spä­ter Treptow-Köpenick, sowohl in der Flug­lärm­kom­mis­si­on Schö­ne­feld als auch an den Stand­ort­such­ver­fah­ren, am Mediations-, Raumordnungs- sowie am Plan­fest­stel­lungs­ver­fah­ren für den Flug­ha­fen Ber­lin Bran­den­burg Inter­na­tio­nal (BBI) betei­ligt. Aus ers­ter Hand kann er so die dama­li­gen Pla­nungs­vor­gän­ge zusammenfassen.

Pla­nungs­vor­ga­be:

Dreh­kreuz – und Still­le­gung von Tegel, Tem­pel­hof und Schönefeld

Im Jahr 1991 gaben die poli­ti­schen Ver­tre­ter von Ber­lin und Bran­den­burg für die Pla­nung und den Bau des Flug­ha­fens fol­gen­de Prä­mis­sen vor:

  • Lage süd­lich von Berlin,
  • Abfer­ti­gung von 20 Mio. Pas­sa­gie­re pro Jahr,
  • Anbin­dung des Stand­or­tes an das regio­na­le und über­re­gio­na­le Bahn­netz sowie an Bun­des­au­to­bah­nen und das regio­na­le Stra­ßen­netz und
  • Anbin­dung des Flug­ha­fens an das Inter­na­tio­na­le Flug­netz (Dreh­kreuz­funk­ti­on).

Sie sahen dar­in die Mög­lich­keit, die Flug­hä­fen in und an der Stadt, also Tegel, Tem­pel­hof und Schö­ne­feld, stillzulegen.

Exper­ten­gut­ach­ten: Schö­ne­feld völ­lig unge­eig­net für einen Hauptstadtflughafen

Die­ser Inten­ti­on fol­gend wur­den zahl­rei­che Gut­ach­ten erar­bei­tet, ein Mediations- und Raum­ord­nungs­ver­fah­ren durch­ge­führt, alles mit dem glei­chen Ergeb­nis, dass Schö­ne­feld – in wel­cher Vari­an­te auch immer – als Stand­ort für einen Haupt­stadt gerech­ten Flug­ha­fen unge­eig­net ist. Auch die Wirt­schafts­ver­tre­ter und die Gewerk­schaf­ten sahen in dem stadt­na­hen Flug­ha­fen kei­ne Alter­na­ti­ve zu einem dem Trend der Zeit ent­spre­chen­den weit außer­halb der Stadt gele­ge­nen Stand­ort. Selbst die Flug­ha­fen­hol­ding und der Auf­sichts­rat des Flug­ha­fens Schö­ne­feld waren die­ser Ansicht.

Dies ergab sich ins­be­son­de­re aus dem Media­ti­ons­ver­fah­ren, wel­ches über 3 ½ Jah­re unter Lei­tung von Prof. Horst Zil­les­sen vom Zen­trum für Umwelt­kon­flikt­for­schung und –manag­ment GmbH an der Carl von Ossietz­ky Uni­ver­si­tät Olden­burg durch­ge­führt wur­de. Zil­les­sen teil­te dazu die Welt in 5 Inter­es­sen­grup­pen ein: Poli­tik, Ver­wal­tung, Wirt­schaft, Ver­ei­ne, Bür­ger­initia­ti­ven. Jede Inter­es­sen­grup­pe durf­te 3 Ver­tre­ter benen­nen, so dass die Teil­neh­mer­zahl am Media­ti­ons­ver­fah­ren, wel­ches monat­lich statt­fand, 20 betrug, wenn man die Ver­tre­ter der Uni­ver­si­tät Olden­burg und des Flug­ha­fens dazu rech­ne­te. Mir wur­de die Ehre zuteil, als Ver­tre­ter der Ver­wal­tung die Inter­es­sen des Bezirks Köpe­nick in das Ver­fah­ren einzubringen.

Die Ansich­ten zum Stand­ort für den Flug­ha­fen BBI waren anfangs äußerst zer­strit­ten. Aber nach 3 ½ Jah­ren hat­te man sich auf Spe­ren­berg geei­nigt und teil­te den Her­ren Diep­gen, Stol­pe und Wiss­mann das Ergeb­nis per­sön­lich mit.

Kon­sens­be­schluss miss­ach­tet – Schö­ne­feld aus­ge­wählt und Bür­ger­dia­log eingestellt

Was pas­sier­te darauf?

  • Kur­ze Zeit danach, am 18.05.1996, wur­de von den Anteils­eig­nern (dem Land Ber­lin, dem Land Bran­den­burg und dem Bund) in einem Kon­sens­be­schluss die Ent­schei­dung getrof­fen, den Flug­ha­fen Schö­ne­feld zum künf­ti­gen Flug­ha­fen Ber­lin Bran­den­burg Inter­na­tio­nal auszubauen.
  • Es gab kei­nen Bür­ger­dia­log mehr, wie der fol­gen­de, an mich gerich­te­te Brief von der Uni­ver­si­tät Olden­burg beweist: „Sehr geehr­ter Herr Dr. Marz, mit Schrei­ben vom 11. Novem­ber 1996 hat uns der Vor­sit­zen­de der Flug­ha­fen­hol­ding mit­ge­teilt, dass eine Fort­füh­rung des Bür­ger­dia­logs durch MEDIATOR nicht mehr vor­ge­se­hen ist. Wir müs­sen uns also zu unse­rem Bedau­ern von Ihnen ver­ab­schie­den. Wir wol­len aber nicht ver­säu­men, Ihnen für die rund 3 ½ jäh­ri­ge Zusam­men­ar­beit herz­lich zu dan­ken. In unzäh­li­gen Dis­kus­sio­nen haben Sie bewie­sen, dass Ihnen die Regi­on am Her­zen liegt und Sie eine kon­struk­ti­ve Debat­te über die Flug­ha­fen­plä­ne füh­ren wol­len. Wir wün­schen Ihnen auch wei­ter­hin die Mög­lich­keit offen, kon­kret und kri­tisch ver­han­deln zu können.“
  • Der Regie­ren­de Bür­ger­meis­ter von Ber­lin Diep­gen mach­te sich selbst zum Vor­sit­zen­den des Auf­sichts­ra­tes vom Flug­ha­fen Schö­ne­feld, um jede Kri­tik am Kon­sens­be­schluss zu unterbinden.

War­um fiel die Ent­schei­dung für Schönefeld?

Dafür gab und gibt es drei Gründe.

  1. Der Ver­kehrs­mi­nis­ter Wiss­mann (CDU) war in den Auf­sichts­rä­ten der Flug­hä­fen Frank­furt und Mün­chen und woll­te ver­hin­dern, dass im Osten ein wei­te­res Dreh­kreuz ent­steht. Mit dem Stand­ort Schö­ne­feld wird ein Flug­ha­fen geschaf­fen, der nur eine Zubrin­ger­funk­ti­on haben wird.
  2. Die LPG-Bauern hat­ten nach 1990 ihr zu Schö­ne­feld benach­bar­tes Acker­land an eine Liech­ten­stei­ner Schwin­del­fir­ma für 300.- DM pro Qua­drat­me­ter ver­kauft. Ber­lin und das Land Bran­den­burg haben die­ses Land in Erwar­tung eines Flug­ha­fen­aus­baus zurück­ge­kauft, wofür hohe Zin­sen gezahlt wer­den müssen.
  3. Der Bau eines Flug­ha­fens in Spe­ren­berg ein­schließ­lich der Ver­kehrs­an­bin­dung hät­te cir­ca 4 Mil­li­ar­den EUR gekos­tet, wor­an der Bund im hohen Maße betei­ligt wor­den wäre (im Ver­gleich: Schö­ne­feld ca. 2,3 Mil­li­ar­den EUR). Man woll­te nicht, dass so eine hohe Inves­ti­ti­ons­sum­me in den Osten fließt.

Die­se Grün­de wur­den vom Auf­sichts­rat, bevor Diep­gen den Vor­sitz über­nahm, und spä­ter im Plan­fest­stel­lungs­ver­fah­ren, das im Jah­re 2000 folg­te, betont.

Aus­wir­kun­gen auf Treptow-Köpenick als Wohn- und Erho­lungs­stand­ort missachtet 

In unse­rer Stel­lung­nah­me zum Plan­fest­stel­lungs­ver­fah­ren für das Vor­ha­ben „Aus­bau des Flug­ha­fens Berlin-Schönefeld“ vom 27.06.2000 heißt es unter ande­rem in der Zusammenfassung:

Pro­ble­ma­tisch ist vor allem die feh­ler­haf­te Dar­stel­lung der Lärm­aus­wir­kun­gen des Flug­ha­fens auf den Bezirk Köpe­nick, der ein bevor­zug­ter Wohn­stand­ort und ein attrak­ti­ver Erho­lungs­raum ist. Wir for­dern neue und unab­hän­gi­ge Gut­ach­ten, die die Belas­tun­gen und Gefah­ren rich­tig bewer­ten. Dar­über hin­aus soll­te auf deren Grund­la­ge eine erneu­te Stand­ort­ab­wä­gung erfolgen.“

Im Ein­zel­nen wur­de von uns ver­langt, dass bereits im Rah­men der Plan­fest­stel­lung eine Fest­le­gung der Flug­rou­ten zwin­gend not­wen­dig ist, da ansons­ten kei­ne Aus­sa­gen zur Betrof­fen­heit, ins­be­son­de­re in den Orts­tei­len Grün­au, Wen­den­schloß, Köpe­nick und Fried­richs­ha­gen mög­lich sind. Wir beton­ten, dass der rea­le Ein­zel­pe­gel die Kom­mu­ni­ka­ti­on stört, den Schlaf unter­bricht und zur Unbe­nutz­bar­keit der Außen­wohn­be­rei­che führt. Uns war klar, dass der Flug­ha­fen BBI gewis­ser­ma­ßen ein inner­städ­ti­scher wird, da er nur betrie­ben wer­den kann, wenn der Ber­li­ner Luft­raum über­flo­gen wird.

Wald­flä­chen und Seen­land­schaf­ten haben erheb­li­che öko­lo­gi­sche Bedeu­tung für das gan­ze Berlin 

Der schrift­li­chen Stel­lung­nah­me folg­te dann im Jah­re 2001 die Anhö­rung der Trä­ger öffent­li­cher Belan­ge. Ich möch­te mei­ne letz­ten Wor­te, die ich am 23. Novem­ber 2001 in der Rathen­au­hal­le geäu­ßert habe, wiederholen:

„Der Bezirk Treptow-Köpenick wird als Gan­zes durch den Aus­bau des Flug­ha­fens in Schö­ne­feld abge­wer­tet. Dies betrifft vor allem den bevor­zug­ten Wohn­stand­ort und das Nah­erho­lungs­ge­biet. Nur wer die wert­vol­len Natur­räu­me, die Land­schafts­schutz­ge­bie­te und Natur­schutz­ge­bie­te im Süd­os­ten Ber­lins nicht kennt oder aus­schließ­lich Wirt­schafts­in­ter­es­sen ver­folgt, kann sol­che irr­sin­ni­gen Pla­nun­gen ins Auge fassen.

Die aus­ge­präg­ten Wald­flä­chen und Seen­land­schaf­ten haben nicht nur Erho­lungs­funk­tio­nen, son­dern auch eine erheb­li­che öko­lo­gi­sche Bedeu­tung für die Gesamt­stadt. Hier wird Trink­was­ser aus Grund­was­ser bzw. Ufer­fil­trat für die Stadt gewon­nen. Über einen Grün­keil, der sich von dem süd­öst­li­chen Umland bis in die Innen­stadt erstreckt, wird Frisch­luft – in den Som­mer­mo­na­ten auch Kalt­luft – in die Innen­stadt gelei­tet. Sol­che Belüf­tungs­bah­nen sind außer­or­dent­lich wert­voll für das Stadt­kli­ma; ande­re Städ­te benei­den uns. Die­se öko­lo­gi­schen Funk­tio­nen, ein­schließ­lich der genann­ten sozia­len Funk­tio­nen, sehe ich gefähr­det. Die­se Sor­ge wird vom Bezirks­amt und von vie­len Bewoh­nern des Bezir­kes Treptow-Köpenick mit­ge­tra­gen. Herr Ley­er­le, ver­hin­dern Sie den Aus­bau von Schönefeld!“

(Herr Ley­er­le war der Vor­sit­zen­de der Anhörungsbehörde.)

Plan­fest­stel­lungs­be­schluss folgt Gefälligkeitsgutachten

Dem Anhö­rungs­ver­fah­ren folg­te am 13.08.2004 der Plan­fest­stel­lungs­be­schluss des Minis­te­ri­ums Stadt­ent­wick­lung, Woh­nen und Ver­kehr des Lan­des Bran­den­burg. Beim Lesen der 1171 Sei­ten wur­de deut­lich, dass die Plan­fest­stel­lungs­be­hör­de befan­gen und in fast allen Belan­gen den Gut­ach­tern gefolgt war, obwohl im Erör­te­rungs­ver­fah­ren deut­lich wur­de, wie schwach die Gefäl­lig­keits­gut­ach­ten waren und man sich auf Kom­pro­miss­lö­sun­gen bereits ver­stän­digt hatte.

Und die juris­ti­schen Mit­tel? Das Verkehrswege-Planungsbeschleunigungsgesetz hat die Fris­ten für alle Pla­nun­gen ver­kürzt und die Kla­ge­mög­lich­kei­ten ein­ge­schränkt. Dass der auf Gefäl­lig­keits­gut­ach­ten basie­ren­de Plan­fest­stel­lungs­be­schluss nicht vom Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt den Inves­to­ren, die zugleich Legis­la­ti­ve und Exe­ku­ti­ve ver­kör­pern, um die Ohren gehau­en wur­de, war für mich ein Zei­chen für das Ver­sa­gen der in Deutsch­land so geprie­se­nen Demokratie.

Dr. Man­fred Marz (26. Mai 2011)

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